OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.03.2011 - Verg W 5/11 – Holzeinschlag etc. nach Kampfmittelräumung – fehlender Nachweis der zwingend vorgegebenen Ortsbesichtigung als Ausschlussgrund – ergänzender Bestandteil der Leistungsbeschreibung - Lose – Anhang 1 Teil B – eingeschränktes Vergaberegime – „Sammeltermine“ – kein Verstoß gegen Vertraulichkeit – Eignungsnachweise - Bestandteil der Leistungsbeschreibung mit Fettdruckweise: "eine Vorortbesichtigung der Bestände zu den Losen 1 bis 9 zwingend erforderlich"

Besichtigungstermine für jedes Los – Erforderlichkeit der Dokumentation der Vorortbesichtigung durch vorzulegendes Formblatt – Bekanntmachung und Nachweisliste ohne Hinweis auf Bescheinigung der Vorortbesichtigung – Angebote teils vollständig mit, teils ohne Bescheinigungen über Vorortbesichtigung – statt Bescheinigung über Vorortbesichtigung Vorlage einer von der zuständigen Oberförsterei abgezeichnete "Bestätigung zur Vorlage bei der Vergabestelle" durch Bieter über hinreichende Bekanntheit der örtlichen Bedingungen infolge Durchführung Leistungen im Jahr 2010 – Ausschluss nach § 16 III a) VOL/A – Information nach § 101a I GWB: beabsichtigter Zuschlag an diesen Bieter fehlerhaft - Rechtzeitigkeit der Rüge – Begründetheit und Auflage: Wiederholung der Wertung ohne Berücksichtigung des „unvollständigen Angebots“ wegen fehlender Vorlage des Formblatts über die Teilnahme an der Vortortbesichtigung – Verletzung der Grundsätze des Transparenz- und des Gleichbehandlungsgebotes – für Dienstleistungen nach dem Anhang I Teil B gemäß § 4 Abs. 4 VgV nur ein eingeschränktes Vergaberegime (§§ 8, 15 Abs. 10 und 23 VOL/A-EG- im Übrigen gelten die Regelungen des Abschnittes 1 der VOL/A 2009 mit Ausnahme des § . Die vergaberechtlichen Grundprinzipien wie das Diskriminierungsverbot und das Transparenzgebot gelten jedoch auch bei der Vergabe nachrangiger Dienstleistungen. Der Auftraggeber hat in den Verdingungsunterlagen erklärt, dass eine Vorortbesichtigung an bestimmten Tagen an bestimmten Orten "zwingend" erforderlich sei. Er hat außerdem mitgeteilt, dass die Teilnahme an der Vorortbesichtigung "in der Anlage zu dokumentieren und mit dem Angebot" vorzulegen sei. Er hat damit unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass ein Angebot unvollständig ist, das die Bescheinigungen, die die Teilnahme an den Vorortbesichtigungen nachweist, nicht enthält. Der Auftraggeber kann nicht mit Erfolg geltend machen, dass die vorgegebenen Termine für die Ortsbesichtigungen zeitlich zu knapp vor dem Termin zur Abgabe der Angebote lagen, oder dass die Durchführung von Sammelortsterminen gegen das den §§ 12 Abs. 4, 13 Abs. 2 VOL/A 2009 zugrunde liegende Vertraulichkeitsgebot verstößt, so dass im Ergebnis die unterbliebene Vorlage der geforderten Nachweise unbeachtlich sei. Es kann offen bleiben, ob diese Gestaltung des Vergabeverfahrens vergaberechtsfehlerhaft ist. Das Vorliegen von Vergaberechtsverstößen rechtfertigt nur Maßnahmen des Auftraggebers zur Herstellung eines vergaberechtskonformen Vergabeverfahrens, nicht jedoch seine Rechtsverteidigung im Nachprüfungsverfahren zu Lasten eines die Nachprüfung aus anderen Gründen betreibenden Bieters. Die geltend gemachten Fehler sind hier infolge Zeitablaufs irreparabel, weil die Frist zur Abgabe der Angebote abgelaufen und das Vertraulichkeitsgebot bereits verletzt ist. Die Forderung des Auftraggebers nach Vorlage von Nachweisen über die Teilnahme an den Vorortbesichtigungen ist in den Verdingungsunterlagen wirksam erfolgt. Denn die vom Auftraggeber geforderten Nachweise über die Teilnahme an Ortsbesichtigungen stellen keine Eignungsnachweise dar, deren Vorlage er gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 lit. l VOL/A 2009 bereits in der Bekanntmachung hätte fordern müssen. Hierfür spricht zunächst schon, dass der Auftraggeber diese Nachweise weder im Ausschreibungstext noch in der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots bei den mit dem Angebot vorzulegenden, die Eignung der Bieter belegenden Unterlagen aufgeführt hat. Dort hat er vielmehr die Vorlage einer Reihe von anderen Unterlagen gefordert. Diese Nachweise lassen sich auch der Sache nach nicht als Nachweise der Eignung qualifizieren. Eignungskriterien sind Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit. Die Fachkunde besitzt ein Bieter, wenn er die in dem betreffenden Fachgebiet notwendigen technischen Kenntnisse verfügt, um den ausgeschriebenen Auftrag ordnungsgemäß erbringen zu können. Leistungsfähig ist ein Unternehmen, wenn es in technischer, kaufmännischer, personeller und finanzieller Hinsicht so ausgestattet ist, dass es die Gewähr für die ordnungsgemäße Erbringung der geforderten Leistung bietet. Zuverlässig ist ein Bewerber, wenn er seinen gesetzlichen Verpflichtung nachkommt und wenn er eine sorgfältige und einwandfreie Ausführung der ausgeschriebenen Leistung entsprechend den rechtlichen und technischen Normen einschließlich Gewährleistung erwarten lässt. Daraus ergibt sich, dass ein Bieter die Eignung für die Durchführung eines konkreten Auftrages vor dem Vergabeverfahren erworben hat, in dem er seine Eignung nachweisen soll. Die durch die geforderten Nachweise belegte und erst im laufenden Vergabeverfahren zu erwerbende Kenntnis von den Örtlichkeiten, an denen die ausgeschriebenen Holzschlag- und Rückungsarbeiten durchgeführt werden sollen, lassen sich deshalb unter keines der vorgenannten Eignungskriterien subsumieren. Der Sinn der Vorortbesichtigungen war es nach dem eigenen Vortrag des Auftraggebers im Verfahren vor der Vergabekammer vielmehr, geeignete Bieter in die Lage zu versetzen, ordnungsgemäß kalkulierte und vorhandenen Risiken Rechnung tragende Angebote abzugeben. So hat der Auftraggeber vorgetragen, dass alle Interessenten vor Abgabe eines Angebotes über die örtlichen Verhältnisse umfänglich informiert werden sollten, deshalb sei in die Leistungsbeschreibung die Forderung nach einer Vorortbesichtigung der Bestände aufgenommen worden. Dadurch habe sichergestellt werden sollen, dass die verbal beschriebenen Besonderheiten in den jeweiligen Losen Berücksichtigungen finden. Grund für diese Forderung sei gewesen, dass es in Einzelfällen in der Vergangenheit zur Schwierigkeiten in der Auftragsabarbeitung gekommen sei, da keine ausreichenden Kenntnisse über die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort vorhanden gewesen seien. Daraus ergibt sich, dass der Auftraggeber mit der Forderung nach einer Vorortbesichtigung von ihm als unzulänglich erachtete textliche Beschreibungen der Örtlichkeiten durch eine obligatorische Ortsbesichtigung durch alle potentiellen Bieter beheben wollte. Die Vorortbesichtigungen hatten mithin den Zweck, die Leistungsbeschreibung zu ergänzen und präziser zu gestalten. Der Nachweis über die Teilnahme an den Vorortbesichtigungen stellt mithin der Sache nach einen Nachweis der Kenntnisnahme von Einzelheiten der für die Durchführung des Auftrages maßgeblichen Umstände dar. Da die Beigeladenen weder an den Vorortbesichtigungen teilgenommen noch ihre Teilnahme in der vom Auftraggeber geforderten Form nachgewiesen haben, können ihre Angebote für den Zuschlag nicht berücksichtigt werden. Da die Termine, an denen die Vorortbesichtigungen stattgefunden haben, bereits verstrichen sind, ist den Beigeladenen die Nachreichung entsprechender Nachweise unmöglich, so dass es nicht darauf ankommt, ob der Auftraggeber nach § 16 Abs. 2 VOL/A 2009 berechtigt gewesen wäre, fehlende Nachweise nachzufordern. Der Auftraggeber ist deshalb im Hinblick auf die im Beschwerdeverfahren noch streitbefangenen Lose gehindert, den Zuschlag auf Angebote von solchen Bietern zu erteilen, die - wie die Beigeladenen im vorliegenden Verfahren - an diesen Vorortbesichtigungen nicht teilgenommen haben und die entsprechenden Bescheinigungen weder vorgelegt haben noch diese vorlegen können. Deren Angebote sind unvollständig und deshalb gemäß § 16 Abs. 3 lit. a) VOL/A 2009 auszuschließen. Der Auftraggeber ist aus Gleichbehandlungsgründen nicht berechtigt, einzelnen Bietern Befreiung von der Vorlage dieser verlangten Bescheinigung zu erteilen. b.) Die Begründetheit des Nachprüfungsantrages scheitert nicht daran, dass der Auftraggeber im Beschwerdeverfahren erstmals geltend macht, der Antragstellerin fehle die Eignung und sie könne aus diesem Grunde nicht zum Zuge kommen, so dass ihr infolge eines unterbliebenen Zuschlags an sie ein Schaden nicht drohe. Die Prüfung der Eignung eines Bieters ist Aufgabe des Auftraggebers. Die Nachprüfungsinstanzen haben sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die vom Auftraggeber getroffene Prognose, ob ein Bieter eine fachgerechte und reibungslose Vertragserfüllung gewährleistet oder nicht, eine hinreichende Tatsachengrundlage hat und innerhalb des der Vergabestelle zustehenden Bewertungsspielraums liegt. Die Nachprüfungsinstanzen dürfen jedenfalls nicht ihre Bewertung an die Stelle derjenigen des Auftraggebers setzen. Prüfungsgrundlage für die Nachprüfungsinstanzen ist dabei der Vergabevermerk, nicht das Vorbringen des Auftraggebers im Nachprüfungsverfahren (OLG Koblenz, Beschluss vom 15.10.2009, 1 Verg 9/09, VergabeR 2010, 696, zitiert nach Juris). Im vorliegenden Fall kann eine solche Prüfung durch den Vergabesenat nicht stattfinden, weil eine Eignungsprüfung im ursprünglichen Vergabevermerk vom 8.11.2010 überhaupt nicht, im - auf die Rüge der Antragstellerin hin - überarbeiteten Vermerk vom 29.11.2010 allenfalls eine Prüfung der technischen Leistungsfähigkeit stattgefunden hat, die die Vergabestelle bei der Antragstellerin bejaht hat. Der Auftraggeber wird deshalb bei der Wiederholung der Wertung auch eine Eignungsprüfung zu dokumentieren haben. Sollte er dabei Zweifel an der Eignung der Antragstellerin hegen, wird er erläutern müssen, warum er bisher keine Veranlassung gesehen hat, die Antragstellerin auf der zweiten Wertungsstufe bei der materiellen Eignungsprüfung auszuschließen. Denn bei seiner Wertung vom 29.11.2010 hat er zunächst der Rüge der Antragstellerin hinsichtlich der Lose 1 und 2 abhelfen und sie – nach Bejahung der "technischen Voraussetzungen lt. Rahmenvorgaben" für diese Lose für den Zuschlag vorsehen wollen. Er hat auch im Nachprüfungsverfahren Zweifel an der Eignung der Antragstellerin erst geäußert, nachdem er aufgrund des Beschlusses des Vergabesenates, mit dem die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin verlängert worden ist, von einem Erfolg des Nachprüfungsantrages der Antragstellerin ausgehen musste. Erläuterungsbedarf würde auch deshalb bestehen, weil die nunmehr vorgetragenen Umstände, die Zweifel an der Eignung der Antragstellerin begründen sollen, dem Auftraggeber schon bei seiner ersten Wertung am 8.11.2010 und teilweise auch schon seit vielen Monaten bekannt waren.“ – Kostenentscheidung – „Der Senat hat es aus Billigkeitserwägungen für richtig gehalten, die Gebühren und Auslagen der Vergabekammer allein dem Auftraggeber aufzuerlegen und ihn auch allein zu verpflichten, die Auslagen der Antragstellerin zu erstatten. Es entspricht demgegenüber nicht der Billigkeit, auch die Beigeladenen an diesen Kosten zu beteiligen. Denn der Auftraggeber hat sich - bezogen auf alle im Verfahren vor der Vergabekammer in Streit befindlichen Lose - nicht an die von ihm selbst gestellten Anforderungen an die Vollständigkeit von Angeboten gehalten, sondern ist ohne erkennbaren Grund hiervon abgerückt. Wenn dies nicht geschehen wäre, wären die Beigeladenen von vornherein von der Wertung ausgeschlossen gewesen und hätten nicht an einem Nachprüfungsverfahren beteiligt werden müssen. Der Auftraggeber muss auch die Kosten des Vergabekammerverfahrens tragen, soweit es die Lose 6 und 8 angeht. Soweit Bei diesen Losen lag die Antragstellerin nach der Preiswertung des Auftraggebers jeweils an dritter Stelle. Soweit es das Los 8 angeht, hätte die Antragstellerin Chancen auf den Zuschlag gehabt, weil die beiden Beigeladenen preislich vor ihr lagen, die wegen Unvollständigkeit ihrer Angebote nicht für den Zuschlag berücksichtigt werden können. Bei dem Los 6 lag zwar - nach dem Beigeladenen zu 2.) - noch ein Bieter vor ihr, der die vom Auftraggeber geforderten Nachweise erbracht hatte, so dass sich die Zuschlagschancen für die Antragstellerin durch einen Ausschluss des Beigeladenen zu 2.) nicht verbessert hätten. Angesichts der vom Auftraggeber zu verantwortenden Verstöße gegen das Vergaberecht entspricht es jedoch nach Auffassung des Senates der Billigkeit, den Auftraggeber auch insoweit mit den Kosten zu belasten. Entsprechend § 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG ist außerdem zu bestimmen, dass die Hinzuziehung der von der Antragstellerin mit der Vertretung im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer betrauten Rechtsanwälte notwendig war. Für die Tragung der im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten gelten die §§ 120 Abs. 2, 78 GWB. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vollständig obsiegt hat. Es entspricht - wie im Verfahren vor der Vergabekammer - auch im Beschwerdeverfahren der Billigkeit, dass der Auftraggeber die Kosten bis auf die außergerichtlichen Auslagen der Beigeladenen allein trägt.

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