Auf der Internetseite www.vergabetip.de sind die neuen Ausgaben der VOLaktuell Nr. 3 und 4 erschienen. Hierbei geht es um eine Reihe interessanter Entscheidungen.

  • Das Oberlandesgericht München (Beschluss vom 12.05.2011) befasste sich mit der Frage, wie die Leistungen bei der Wertung getestet werden können.
  • Obwohl im Hinblick auf das Problem des verspäteten Zuschlag nach fünf (!) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in 2010 und 2011 eigentlich Klarheit bestehen sollte, liegt wiederum eine neue Entscheidung des Kammergerichts Berlin vom 20.05.2011 vor. Wird der Zuschlag mit Abänderungen erteilt, greift auch hier schlicht § 150 II BGB ein. Mangels ausdrücklicher Annahme durch Bieter fehlt es an einem Vertrag.
  • Manche Bewerber oder Bieter schießen zu früh „scharf“, d. h.: Sie rufen die Vergabekammer an, ohne dem öffentlichen Auftragnehmer die Möglichkeit zur Beseitigung des Mangels einzuräumen. Nach dem Oberlandesgericht Düsseldorf vom 11.05.2011 wirkt sich dies nachteilig für den Bieter in der Kostenentscheidung aus.
  • Bei Freiberufler-Leistungen legen die Auftraggeber vielfach neben dem Preis weitere Wertungskriterien z. B. mit Punktebewertung fest. Aber auch in Verfahren nach VOF müssen nach dem Oberlandesgericht München vom 10.02.2011 Eignungs- und Zuschlagskriterien getrennt werden. Das „Verbot“ der Vermischung von Eignungskriterien (Erfahrung etc.) und Zuschlagskriterien greift auch hier grundsätzlich ein.
  • In einem weiteren Beschluss hat das Oberlandesgericht München (Beschluss vom 30.06.2011, Verg 5/09) entschieden, dass bei Vorliegen einer Dienstleistungskonzession der Rechtsweg vor den Verwaltungsgericht gegeben ist und folglich die Vergabekammer nicht nach § 102 ff GWB angerufen werden kann. Das Oberlandesgericht München hat das Verfahren an das Verwaltungsgericht Regensburg verwiesen.



OLG München, Beschl. v. 30.6.2011, Verg 5 / 09 – Zweckverband Rettungsdienst-Feuerwehr – Dienstleistungskonzession – Rechtsweg bei Dienstleistungskonzessionen vor dem Verwaltungsgericht, nicht nach § 102 ff GWB (Vergabekammer, OLG) - Art 13 II BayRDG - §§ 17 a II, 17a V GVG, 124 II GWB

Leitsätze:

  1. Für die Überprüfung einer Vergabe von Rettungsdienstleistungen in Form einer Dienstleistungskonzession ist der Rechtsweg zu den Nachprüfungsinstanzen zurzeit nicht gegeben.
  2. Eine Verweisung des Verfahrens durch den Vergabesenat in den hier zulässigen Verwaltungsrechtsweg ist nach § 17a Abs. 2 GVG zulässig.
  3. Die Rechtsbeschwerde nach § 17a Abs. 5 GVG ist gegenüber der Divergenzvorlage nach § 124 Abs. 2 GWG der speziellere Rechtsbehelf.
    Entscheidung: „Der Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung in P. (Antragsgegner) kündigte den bestehenden Rettungsdienstvertrag mit dem Antragsteller zum 31.12.2008. Im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, mit dem sich der Antragsteller gegen die Kündigung zur Wehr setzte, wurde ihm bekannt, dass der Antragsgegner ohne vorherige Ausschreibung andere Unternehmen mittels Interimsverträgen mit dem Rettungsdienst betrauen und anschließend den Rettungsdienst nach einem Auswahlverfahren vergeben wollte, welches das seit 1.1.2009 in Kraft getretene Bayerische Rettungsdienstgesetz (BayRDG) in Art. 13 vorsieht.

    In Art.13 BayRDG heißt es, dass andere als die in Abs. 1 benannten Hilfsorganisationen (zu denen der Antragsteller nicht gehört) nur dann mit dem Rettungsdienst beauftragt werden dürfen, wenn diese zur Übernahme des Auftrags nicht bereit sind. Die Rettungsdienstleistungen werden nicht vom Zweckverband bezahlt, sondern von den Krankenkassen, die vor Beginn eines Abrechnungsjahres mit den Rettungsdiensten Entgeltvereinbarungen schließen. Eine landesweit zuständige Abrechnungsstelle zieht die Entgelte bei den Nutzern ein und zahlt an die Rettungsdienste entsprechend dem vereinbarten Jahresentgelt monatliche Abschlagszahlungen. Ergibt sich am Schluss des Jahres eine Unterdeckung, wird diese bei der Entgeltvereinbarung für das nächste Jahr berücksichtigt; ergibt sich ein Überschuss, soll dieser ebenfalls berücksichtigt werden (so genannter Einnahmenausgleich). Mit seinem Nachprüfungsantrag wollte der Antragsteller eine öffentliche Ausschreibung erreichen

    Der Antrag wurde von der Vergabekammer mit der Begründung als unzulässig verworfen, es liege eine Dienstleistungskonzession vor, welche nicht dem Vergaberecht unterfalle. Gegen diesen Beschluss legte der Antragsteller sofortige Beschwerde ein. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Senatsbeschluss vom 2.7.2009 Bezug genommen. Auf das Vorab-Entscheidungsersuchen des Senats (Beschluss vom 2.7.2009) hat der EuGH mit Urteil vom 10.3.2011 – Rs. C-274/08 – entschieden, dass eine Dienstleistungskonzession vorliegt, weil das Entgelt für die Transportleistungen von einem Dritten bezahlt wird und der Auftragnehmer ein wenn auch eingeschränktes wirtschaftliches Risiko übernimmt.

    In Rn. 49 der Entscheidung heißt es: „Es ist hinzuzufügen, dass Verträge über Dienstleistungskonzessionen beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts zwar von keiner der Richtlinien erfasst werden, mit denen der Unionsgesetzgeber das öffentliche Auftragswesen geregelt hat, die öffentlichen Stellen, die solche Verträge schließen, aber gleichwohl verpflichtet sind, die Grundregeln des AEU-Vertrages, insbesondere die Art. 49 AEUV und 56 AEUV, sowie die daraus fließende Transparenzpflicht zu beachten, wenn – was das vorlegende Gericht zu prüfen hat – an dem betreffenden Vertrag ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht..“

    Der Antragsteller trägt vor, dass trotz des Vorliegens einer Dienstleistungskonzession der Vergabesenat zur Prüfung der Vergabe nach Maßgabe des Primärrechts berufen sei. Dies ergebe sich bereits aus dem expliziten Hinweis des EuGH, dass das vorlegende Gericht die Binnenmarktrelevanz zu überprüfen habe. Zudem verlange das unionsrechtliche Gebot des effektiven Rechtsschutzes, welches auch für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen gelte, dass nicht nur die Mitgliedsstaaten, sondern auch die nationalen Gerichte nach Art. 4 Abs. 3 AEUV den Schutz dieses Rechtes zu gewährleisten hätten. Effektiver Rechtschutz bedeute dabei nicht die Möglichkeit einer Schadensersatz- oder Feststellungsklage, sondern einen effektiven Primärrechtsschutz in Form der Schadensabwehr.

    Ein solcher Rechtsschutz lasse sich nur im Wege eines Vergabenachprüfungsverfahrens nach GWB erreichen. Nach dem Äquivalenzprinzip dürften für die Nachprüfung von Dienstleistungskonzessionen keine größeren Hindernisse bestehen als für die Vergabe anderer öffentlicher Aufträge. § 104 GWB sei daher vergaberechtskonform dahingehend auszulegen, dass auch Dienstleistungskonzessionen von den Nachprüfungsinstanzen überprüft werden könnten. Die schwierige Abgrenzung zwischen Dienstleistungskonzession und Dienstleistungsauftrag weise einseitig dem Rechtssuchenden das Risiko der richtigen Zuordnung zu, wobei nach herrschender Ansicht eine Verweisung von der Vergabekammer nach § 17a GVG nicht möglich sei. Zudem seien Dienstleistungskonzessionen per se Dienstleistungsaufträge nach § 99 Abs. 4 GWB. Eine Art. 17 VKR entsprechende Ausnahmeregelung sei in § 100 Abs. 2 GWB nicht enthalten. Jedenfalls seien die Vorschriften der §§ 102 ff GWB entsprechend der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 2.3.2011 – Verg 48/10 - analog heranzuziehen.

    Hilfsweise regt der Antragsteller eine Divergenzvorlage nach § 124 Abs. 2 GWB an den BGH an zur Frage, ob eine Verweisung in den zulässigen Rechtsweg möglich sei, im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Celle vom 13.6.2001 – Verg 5/00 und des OLG Brandenburg (Beschluss vom 7.8.2008 – Verg W 12/08), die eine Verweisungsmöglichkeit nach § 17a GVG verneint hätten. Es handele sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, sondern wegen des zwischen dem öffentlichen Auftrageber und dem Bieter bestehenden vorvertraglichen Schuldverhältnisses um eine zivilrechtliche Streitigkeit.

    Der Antragsteller stellt daher den Antrag, 1. den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 7.4.2009 aufzuheben, 2. festzustellen, dass der Abschluss des Interimsauftrags zur Durchführung des Rettungsdienstes im Gebiet der Rettungsstandorte F. und H. gegen Art. 43 und 49 EGV sowie die daraus resultierenden Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz verstoßen und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt hat, 3. den Antragsgegner zu verpflichten, den an den Interimsauftrag zur Durchführung des Rettungsdienstes im Gebiet der Rettungsstandorte F. und H. unter Beachtung der Art. 49 und 56 AEUV und der daraus resultierenden Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung sowie der Transparenz zu vergeben, 4. Hilfsweise zu den Ziffern 2 und 3: den Rechtsstreit gemäß § 17a Abs. 2 GVG an das zuständige Gericht zu verweisen und die sofortige Beschwerde nach Art. 17a Abs. 4 GVG für zulässig zu erklären.

    Der Antragsgegner stellt den Antrag, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen. Er trägt vor, nach der Entscheidung des EuGH stehe nun fest, dass die Vergabe der Rettungsdienstleistungen eine Dienstleistungskonzession zum Gegenstand hätten, welche nicht dem Vergaberecht unterfalle, so dass der Vergaberechtsweg nicht eröffnet und der Nachprüfungsantrag unzulässig sei. Die Rechtsmittelrichtlinie RL 2007/66/EG definiere in Art. 1 Abs.1 ausdrücklich, dass die Richtlinie für Aufträge im Sinne der RL 2004/18/EG gelte, sofern diese Aufträge nicht gemäß den Artikeln 10 bis 18 der genannten Richtlinie ausgeschlossen seien. Da nach Art. 17 der RL 2004/18/EG die VKR nicht für Dienstleistungskonzessionen gelte, fordere das Unionsrecht gerade nicht, dass der Rechtsschutz bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen gleich gestaltet sei wie der Rechtsschutz bei der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen.

    Die Schlussfolgerung, dass die bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen zu beachtenden Grundsätze des Art. 49 AEUV und des Art. 56 AEUV sowie die daraus fließende Transparenzpflicht einen Primärrechtsschutz fordere wie nach der Rechtsmittelrichtlinie, gehe zu weit. Jedenfalls sei ein effektiver Primärrechtsschutz auch vor den Verwaltungsgerichten gewährleistet. Dieses könne nach § 123 VwGO einstweilige Anordnungen erlassen. Daran änderten auch möglicherweise nicht mit der Rechtslage übereinstimmende Beschlüsse einzelner Verwaltungsgerichte nichts. § 116 GWB stehe einer Verweisung des Verfahrens an das Verwaltungsgericht nach § 17a GVG entgegen.

    Der Beigeladene zu 1) stellt den Antrag, die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen. Er trägt vor, der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes könne die nationalen Rechtswegregelungen nicht aushebeln. Die Mitgliedsstaaten seien dazu berufen, das zur Umsetzung des effektiven Rechtsschutzes erforderliche System von Rechtsbehelfen und -verfahren zu schaffen. Die nationalen Gerichte seien nicht befugt, sich in Abänderung oder Ergänzung der von den nationalen Gesetzgebern festgelegten Rechtsbehelfssysteme gesetzlich nicht vorgesehene Zuständigkeiten selbst zuzusprechen. Eine Verweisung an ein anderes Gericht sei nicht möglich, da nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung in Vergaberechtsstreitigkeiten das Verfahren nach § 17a GVG nicht eröffnet sei (OLG Brandenburg vom 7.8.2008 – VergW 12/08; OLG Celle vom 13.6.2001 – 13 Verg 5/00).

    Der Beigeladene zu 2) beantragt, die sofortige Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen, hilfsweise, eine Entscheidung des BGH zu ermöglichen. II. Das Verfahren ist in den Verwaltungsrechtsweg an das Verwaltungsgericht Regensburg zu verweisen, weil der Rechtsweg zu den Nachprüfungsinstanzen nicht gegeben ist.

    Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob eine Verweisung zulässig ist, war die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zuzulassen. 1. Für die Überprüfung der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen ist der Rechtsweg zu den Nachprüfungsinstanzen nicht gegeben.

    1. Nach Art.1 Abs. 1 der Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG ist der Anwendungsbereich des dort geregelten Rechtsschutzes auf den Anwendungsbereich der VKR beschränkt, sofern die Aufträge nicht nach den Art. 10 – 18 der RL 2004/18/EG vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind. Nach Art. 17 RL 2004/18/EG gilt die VKR nicht für Dienstleistungskonzessionen. Das bedeutet, dass jedenfalls die Regelungen über den europarechtlichen Primärrechtsschutz im Sinne von Vergabenachprüfungsverfahren für Dienstleistungskonzessionen nicht anwendbar sein sollen.
    2. Allerdings könnte aus der Forderung des EuGH, dass auch für Dienstleistungskonzessionen die Grundsätze des EG – Vertrages einzuhalten sind, gefolgert werden, dass dann auch der Primärrechtsschutz nach GWB zu gewähren ist. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung (BayObLG vom 11.12.2001 – Verg 15/01) und Literatur (Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz GWB – Vergaberecht 2. Aufl. § 99 Rn. 237; Noch in Byok/Jaeger Kommentar zum Vergaberecht 2. Aufl. Rn. 751) hat sich aber unter Hinweis auf die Regelung in der Rechtsmittelrichtlinie dafür ausgesprochen, dass aus dem Gebot zur Beachtung der allgemeinen Grundsätze – wie dem Gleichbehandlungsgrundsatz oder dem Transparenzgebot – nicht zwangsläufig die Verpflichtung folgt, einen Primärrechtsschutz zu gewähren, sondern ein Sekundärrechtsschutz ausreicht. Der Senat ist der Auffassung, dass schon aus Art. 19 Abs. 4 GG folgt, dass ein effektiver Rechtschutz möglich sein muss.

      Unter effektivem Rechtsschutz ist hierbei nicht zu verstehen, dass nur nachträglich ein Schadensersatzanspruch zur Verfügung steht. Vielmehr bedeutet effektiver Rechtschutz, dass ein drohender Schaden noch abgewendet werden kann. In diesem Zusammenhang stellt der Senat klar, dass im Beschluss vom 25.3.2011 – Verg 4/11 – lediglich Rechtsprechung und Literatur zitiert worden ist, ohne dass der Senat seine Meinung hierzu geäußert hat. Eine andere Frage ist jedoch, in welchem Rechtsweg der Primärrechtsschutz zu suchen ist. Insoweit kann weder aus europarechtlichen Normen noch aus der Rechtsprechung des EuGH gefolgert werden, dass für Dienstleistungskonzessionen zwingend ein Rechtsweg zu den nationalen Nachprüfungsinstanzen gegeben sein muss. Die Rechtsmittelrichtlinie sieht diesen Rechtsweg lediglich für Dienstleistungsaufträge vor. Bezüglich der Dienstleistungskonzessionen bleibt es den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen, in welcher Form und bei welchen Gerichten sie effektiven Rechtsschutz sicherstellen.
    3. Für diesen effektiven Rechtsschutz steht in Deutschland der Weg zu den Nachprüfungsinstanzen zurzeit nicht zur Verfügung, auch wenn dies, wie bereits im Beschluss vom 25.3.2011 – Verg 4/11 – ausgeführt, sinnvoll wäre. Der deutsche Gesetzgeber, dem es unbenommen ist, strengere Vorschriften für den Rechtsschutz bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen zu erlassen, hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Denn auch bei der Schaffung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes hat der deutsche Gesetzgeber davon abgesehen, im Vierten Teil des GWB die Dienstleistungskonzession zu erwähnen und zu regeln. Dies hätte aber in Anbetracht der bis zu diesem Zeitpunkt ersichtlich zweifelhaften Rechtslage zur Klärung des Problems nahe gelegen. So hat inzwischen auch der BGH (Beschluss vom 8.2.2011 – X ZB 4/10) klargestellt, dass er an früheren möglicherweise missverständlichen Äußerungen nach der Neuregelung nicht mehr festhalten will.
    4. Auch die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 2.3.2011 – Verg 48/10 – steht dem nicht entgegen. Zwar ist in dieser Entscheidung vom OLG Düsseldorf die analoge Anwendung des § 102 GWB für die Nachprüfung der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen bejaht worden, doch betraf dieser Beschluss nur den Sonderfall der Vergabe von Personenbeförderung im Linienverkehr mit Bussen nach VO (EG) Nr. 1370/2007. Infolge des Inkrafttretens des Art. 5 Abs. 7 dieser VO am 3.12.2009 hat das OLG Düsseldorf eine nachträglich entstandene Regelungslücke bezüglich der Nachprüfung von Entscheidungen nach Art. 5 Abs. 7 der VO (EG) 1370/2007 festgestellt, welche durch die analoge Anwendung der Vorschrift des § 102 GWB zu schließen sei (ebenso nun OLG München vom 21.6.2011 – Verg 6/11). Eine solche Regelungslücke liegt bezüglich der Überprüfung von Dienstleistungskonzessionen auf anderen Gebieten aber nicht vor. Es verbleibt daher bei der Lage, dass der Rechtsweg zu den Nachprüfungsinstanzen bei der Überprüfung der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen nicht gegeben ist, mag dies auch de lege ferenda wünschenswert und zweckmäßig sein.
    5. Auch der EuGH konnte durch seine Äußerung in Rn. 49 seiner Entscheidung vom 2.3.2011, entgegen der deutschen nationalen Gesetzeslage, die Zuständigkeit zur Überprüfung dem Vergabesenat nicht übertragen. Es ist eher davon auszugehen, dass der EuGH eine bereits bestehende Zuständigkeit des Vergabesenats – aus anderen Gründen – angenommen hat, ohne sich näher mit den nationalen Zuständigkeitsfragen zu befassen.
    6. Aber selbst dann, wenn der effektive Rechtsschutz bei der Überprüfung der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen bei den Nachprüfungsinstanzen, die bisher größere Erfahrung auf diesem Gebiet sammeln konnten, besser aufgehoben wäre als bei den Verwaltungsgerichten, darf der Vergabesenat – entgegen den gesetzlichen Regelungen und der Organisationsgewalt des Staates –nicht die Zuständigkeit zur Überprüfung an sich reißen. Dies ist Sache des Gesetzgebers. Dies mag für den rechtssuchenden Bieter zwar misslich sein, wie der vorliegende Fall zeigt, bei welchem die Abgrenzung zwischen Dienstleistungskonzession und Dienstleistungsauftrag äußerst schwierig ist. Doch vermag auch diese Überlegung die aktuelle Gesetzeslage nicht zu überwinden (vgl. zu einem ähnlichen Problem OLG München vom 21.6.2011 – Verg 6/11 – zur Abgrenzung Dienstleistungskonzession/Dienstleistungsauftrag/Direktvergabe nach VO (EG) Nr. 1370/2007).
  4. Für die Überprüfung der verfahrensgegenständlichen Vergabe von Rettungsdienstleistungen ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.

    1. Der geforderte effektive Rechtschutz ist auch bei den Verwaltungsgerichten gewährleistet. Es besteht die Möglichkeit, durch einstweilige Anordnungen gemäß § 123 VwGO die Zuschlagserteilung an einen bestimmten Bieter zu verhindern oder sonstige vorläufige Maßnahmen zu treffen. Es mag zwar sein, dass der vorläufige Rechtsschutz in Bezug auf Vergaben bei den Verwaltungsgerichten wegen der Seltenheit der bisher vorliegenden Fälle möglicherweise schwerer zu erlangen ist als bei den Nachprüfungsinstanzen. Doch heißt dies nicht, dass die Gesetzeslage einen effektiven Primärrechtschutz bei den Verwaltungsgerichten nicht ermöglicht.
    2. Es handelt sich um eine öffentlichrechtliche Streitigkeit. Der Vertrag, der abgeschlossen werden soll, ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, Art 13 Abs. 4 Satz 1 BayRDG. Der Antragsteller macht einen Anspruch auf Ausschreibung eines solchen öffentlich-rechtlichen Vertrages geltend. Ein vorvertragliches Schuldverhältnis nach § 311 BGB liegt nicht vor, weil gerade kein Ausschreibungsverfahren stattgefunden hat, sondern der Antragsteller erst einen Anspruch auf Einleitung eines solchen Ausschreibungsverfahrens geltend macht. Daher ist hier die allgemeine Diskussion, ob die Überprüfung der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen im zivilrechtlichen oder im verwaltungsrechtlichen Rechtsweg zu erfolgen hat, wegen der fehlenden Ausschreibung nicht entscheidungserheblich.
  5. Eine Verweisung in den zutreffenden Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist zulässig.

    1. Nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG spricht das Gericht die Unzulässigkeit des zu ihm beschrittenen Rechtsweges aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges. Einer Verweisung steht § 116 GWB ebenso wenig im Wege wie die mögliche fehlende Kompetenz der Vergabekammer zu einer Verweisung. Der Vergabesenat ist im Gegensatz zur Vergabekammer das erste unabhängige Gericht, dem sich der Bieter gegenüber sieht. Daher ist der Vergabesenat einem erstinstanzlichen Gericht gleichzusetzen. Dass dem ersten unabhängigen Gerichtsverfahren eine Art verwaltungsrechtlich/gerichtsähnliches Verfahren vorgeschaltet ist, ändert an dieser Sachlage nichts. Das formelle Argument, dass die Anträge im Vergabenachprüfungsverfahren nicht zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren passen, ist durch die Möglichkeit einer Anpassung und Änderung der Anträge leicht zu widerlegen.
  6. Eine etwaige Divergenzvorlage an den BGH nach § 124 Abs. 2 GWB steht hinter dem Rechtsbehelf nach § 17a GVG zurück. Die Rechtsbeschwerde nach § 17a Abs. 5 GVG ist der speziellere Rechtsbehelf. 5. Der Senat weist – entsprechend der Vorgabe durch den EuGH - vorsorglich darauf hin, dass die öffentlichen Auftraggeber auch bei Vorliegen einer Dienstleistungskonzession dazu verpflichtet sind, die Grundregeln des AEU-Vertrages, insbesondere die Art. 49 AEUV und 56 AEUV sowie die daraus fließende Transparenzpflicht zu beachten, wenn ein grenzüberschreitendes Interesse besteht (EuGH vom 10.3.2011 – C-274/09). Ein grenzüberschreitendes Interesse dürfte im Drei-Länder-Eck P. ohne weiteres zu bejahen sein. Aus der Pflicht zur Beachtung dieser Grundsätze bei grenzüberschreitendem Interesse folgt nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 13.10.2005 – C-458/03) die Pflicht zur europaweiten Ausschreibung.
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